Im Rückblick: Podiumsdiskussion
„Polen nach den Parlamentswahlen“
Wie kann ein Rechtsstaat wiederaufgebaut werden?
In Polen weht seit dem Wahlerfolg des Parteienbündnisses um Donald Tusk im vergangenen Herbst ein neuer Wind. So ist der neu gewählte Ministerpräsident für nichts weniger angetreten, als die demokratisch-rechtsstaatliche Ordnung in Polen wiederherzustellen, die in den vorangegangenen acht Regierungsjahren der nationalkonservativen PiS-Partei in ernstzunehmende Bedrängnis geraten war.
Vor diesem Hintergrund und im Rahmen unserer mehrwöchigen Fotoausstellung SPRAWIEDLIWOŚĆ – GERECHTIGKEIT luden wir Anfang März zu einer Podiumsdiskussion, die sich mit Polens steinigem Weg zur Rechtsstaatlichkeit befasste. Neben den vier Expert:innen aus den Bereichen Politikwissenschaft, Journalismus und Rechtsprechung fanden sich an dem Abend knapp 40 interessierte Gäste in den Räumen der Stiftung Forum Recht an der Leipziger Universitätsstraße ein.
Polen im Umbruch
Dabei skizzierte Moderatorin Susann Böttcher (MDR) zunächst ein Bild des Um- beziehungsweise Aufbruchs. Der Titel des oscarprämierten Films „Everything everywhere all at once“ könne für Polen laut Böttcher wörtlich genommen werden, denn die Abberufung von zahlreichen zweifelhaft ins Amt gelangten PiS-Richter:innen, Staatsmedienbediensteten und Staatsanwält:innen erfordere ein sehr umsichtiges Vorgehen, das auch direkte Konsequenzen auf EU-Ebene mit sich bringe. So habe Donald Tusk bereits nach kurzer Zeit vormals blockierte EU-Gelder wieder freisetzen können und somit die konstant hohen EU-Zustimmungswerte der polnischen Bevölkerung weiter gefestigt.
Konkurrierende Rechtsräume
Podiumsteilnehmer Thomas Guddat, Richter und Vorsitzender der Deutsch-Polnischen Richtervereinigung, machte deutlich, dass die Frage nach Polens Zukunft immer auch eine europäische Frage sei. Die aktuelle Gleichzeitigkeit dreier unterschiedlicher Rechtsräume – jener durch die PiS-Regierung beschädigte, jener durch die Tusk-Regierung eingesetzte, sowie der übergreifende Raum europäischer Gerichtsbarkeit – stünden sich derzeit schwer versöhnlich gegenüber.
Auch Viktoria Großmann, Korrespondentin der Süddeutschen Zeitung in Warschau, betonte die herausfordernde Gleichzeitigkeit, die im polnischen Staatsbetrieb derzeit vorherrsche. Es sei nun sehr wichtig, so die Journalistin im Einklang mit Bastian Sendhardt, Politikwissenschaftler am Deutschen Polen-Institut, „das Tempo der Umstrukturierung hochzuhalten“. Doch sei dies einfacher gesagt als getan, denn die Unterstützung für das PiS-Lager um den Parteivorsitzenden Jarosław Kaczyński und den amtierenden Präsidenten Andrzej Duda sei nach wie vor groß. Letzterer halte eine Veto-Macht inne, kraft derer er die Gesetzesvorhaben der Tusk-Regierung problemlos boykottieren könne. Die Folge sei eine Blockadesituation, welche die gegenwärtig konkurrierenden Rechtsstaatsverständnisse allzu sehr verdeutlichten.
Eine europäische Frage: Lehren aus dem Nachbarland
Schließlich bleibt mit den Podiumsteilnehmer:innen festzuhalten, dass der neuen polnischen Regierung ein schwieriger Weg bevorsteht. Ein vorsichtig optimistischer Blick vonseiten deutscher Rechtsgelehrter, wie etwa Mathias Weilandt, Staatssekretär für Justiz und Europa im Freistaat Sachsen, scheint angesichts des derzeitigen politischen Momentums in Polen dennoch angemessen. So habe die polnische Bevölkerung als „liberale und demokratische Mitte“ mit ihrer Wahlentscheidung gegen Rechtspopulismus und für Europa „aufhorchen“ lassen.
Es lässt sich feststellen, dass die jüngsten Entwicklungen in Polen im Gegensatz zu einer rechtsautoritären Wende stehen, die sich derzeit in einigen Ländern in Europa vollzieht. Letztmalig war etwa Anfang März – nur einige Tage nach unserer Podiumsdiskussion – die rechtsextreme Chega-Partei in Portugal gestärkt aus den Parlamentswahlen hervorgegangen. Und mit Blick auf die kommenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg warnte Richter Thomas Guddat abschließend vor einer Blockadesituation im parlamentarisch-demokratischen Tagesgeschäft, welche ernstzunehmende rechtsstaatliche Folgen auch in Deutschland nach sich ziehen könnte. Zudem appellierte er an die Gesetzesgeber, das Bundesverfassungsgericht als Hüterin der Rechtsstaatlichkeit zu stärken.
Da die Veranstaltung im Videostream live verfolgt werden konnte, fand die anschließende Fragerunde hybrid statt – neben den Leipziger Gästen kamen auch die digitalen Zuschauer:innen über den Chat zu Wort. Das Publikum und Podium waren sich grundsätzlich einig, dass wir aus der jüngeren Rechtsgeschichte im Nachbarland lernen sollten, den Rechtsstaat als wertvollen Teil einer resilienten Demokratie zu begreifen und ihn auch dahingehend zu vermitteln. Hierin sieht auch die Stiftung Forum Recht ihre Aufgabe.
Mitschnitt der Podiumsdiskussion
Sie konnten weder digital noch live in Leipzig bei der Diskussion dabei sein? Dann haben Sie die Möglichkeit den Mitschnitt der Veranstaltung hier anzuschauen!