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Im Rückblick: Diskussionsrunde „Kriegsverbrechen vor deutschen Gerichten“

Wie können internationale Verbrechen aufgeklärt werden?

Kriegsverbrechen – ein abstraktes Wort, hinter dem sich schwer zu fassendes Leid verbirgt. Seit 2002 ermöglicht das Völkerstrafgesetzbuch die Verfolgung von Straftaten gegen das Völkerrecht vor deutschen Gerichten. Im Rahmen der Revolutionale 2023 in Leipzig sprachen am Mittwoch, 11. Oktober 2023, Dr. Somi Nikol, Marianna Karkoutly, Roman Avramenko und Katyerna Busol, moderiert von Alexandra Kemmerer über Hürden und Potenziale des angewandten Völkerstrafrechts und gaben Einblicke in ihre Arbeit zur Aufklärung von Kriegsverbrechen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen, die derzeit weltweit geschehen, verdeutlichten die Aktualität des Gesprächs und stimmten nachdenklich.

Dabei vereinte das Podium verschiedene Perspektiven und Stimmen. Dr. Somi Nikol eröffnete das Gespräch mit Einblicken in die Arbeit der Bundesanwaltschaft, bei der sie tätig ist. Aufgrund des Weltrechtsprinzips sowie dem Römischen Statuts des Internationalen Gerichtshof können Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die gegen das Völkerstrafrecht verstoßen, auch in Drittländern verfolgt werden. Deutschland hat sich gemäß des Römischen Statuts zur Verfolgung und Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit verpflichtet.

Im national geltenden Völkerstrafgesetzbuch wird zudem ersichtlich, dass die Straftat nur im Ausnahmefall einen Bezug zu Deutschland aufweisen muss, um verfolgt zu werden. 2011 wurde durch die Bundesanwaltschaft die erste Anklage auf Grundlage des Völkerstrafgesetzbuches erhoben – damals gegen ruandische Rebellengruppenführer, die die Ermordung von Zivilisten in kongolesischen Dörfern von Deutschland aus koordiniert hatten. Ausgangspunkt der Arbeit sind dabei vielfach sogenannte Strukturermittlungsverfahren, welche zunächst auf den Verbrechenskomplex an sich und mögliche Täter:innengruppen fokussieren und erst im Verlauf individuelle Täter:innen und ihre Beteiligung konkret identifizieren.

Dies verdeutlicht die enorme Relevanz der frühen und detaillierten Dokumentation und Beweissicherung von Verbrechen, um Kriegsverbrecher:innen weltweit zur Rechenschaft ziehen zu können. Dies verdeutlichten auch die Berichte von Mariana Karkoutly, Roman Avramenko und Kateryna Busol. Die syrische Rechtsanwältin Mariana Karkoutly sprach als Vertreterin der Organisation Huquqyat, welche die Verfolgung von Straftaten in Syrien vorantreibt. Sie berichtete von den besonderen Herausforderungen, vor welchen die Überlebenden und Zeug:innen von Verbrechen stehen. In ihrer Arbeit steht die Dokumentation von geschlechtsspezifischer Gewalt im Kontext von Kriegsverbrechen im Mittelpunkt. Für die Opfer ist das Berichten über das Erlebte eine besonders schwere und herausfordernde Bürde. Zugleich wird im Rahmen der Verfahren deutlich, wie Verbrechenskomplexe oft übersehene Gruppen in ganz spezifischer Weise schädigen.

Foto von Kateryna Busol und Alexandra Kemmerer
Alexandra Kemmerer und Kateryna Busol, Foto: Sandrino Donnhauser

So zynisch dies zunächst klingen mag, so bieten doch Smartphones und das Internet vielen Menschen die Möglichkeit, Verbrechen zu dokumentieren. Zugleich stellt sich die Herausforderung, inwieweit diese vor Gericht als Beweismittel zugelassen werden können, so Roman Avramenko, Direktor der ukrainischen NGO Truth Hounds. Gerade mit einer steigenden Zahl der Akteur:innen wie Journalist:innen, Aktivist:innen und Forscher:innen, die sich um die Dokumentation von Verbrechen bemühen, stellen sich neue Herausforderungen bei der Nutzung des Materials, aber auch auf Seite der Zeug:innen. So betonten Avaramenko wie auch Karkoutly die psychologische Last, welche auf Opfern und Zeug:innen lastet und die Notwendigkeit für Ermittler:innen, mit dieser umgehen zu können.

Avramenko wie auch Völkerstrafrechtsexpertin Katerny Busol, welche an der National University of Kyiv – Mohyla Acadamy in der Ukraine tätig ist, beleuchteten die Herausforderung und die Bemühungen der ukrainischen Zivilbevölkerung, Verstöße gegen das internationale Recht zu dokumentieren.

Foto von Roman Avramenko und Dr. Somi Nikol auf dem Podium bei der Revolutionale 2023
Roman Avramenko und Dr. Somi Nikol, Foto: Sandrino Donnhauser

Das Team der Revolutionale, welches neben diesem Gespräch eine Woche mit wichtigen Austausch- und Debattenräumen für Aktivist:innen für Menschenrechte und Demokratie organisiert hatte, fasst die Debatte und ihre Erkenntnisse treffend auf ihrem X-Account (vormals Twitter) zusammen: „All panelists agreed that war crimes investigations are highly relevant – not only for legal justice, but also for social justice, individual survivors and for civil resilience in Syria, Ukraine, Israel and everywhere in the world.“ [Dt. Übersetzung: „Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass die Aufklärung von Kriegsverbrechen überaus relevant ist – nicht nur für die juristische Gerechtigkeitsfindung, sondern auch für die soziale Gerechtigkeit, die individuellen Überlebenden und den zivilen Widerstand in Syrien, der Ukraine, Israel und weltweit.“]

Wir danken den Teilnehmenden auf dem Podium und Publikum sowie unseren Kooperationspartnern des Abends, dem Team der Revolutionale (revolutionale.de) und dem Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig (hdg.de) für einen eindrücklichen Austausch.

Mitschnitt der Podiumsdiskussion

Sehen Sie hier den Mitschnitt der Podiumsdiskussion vom 11. Oktober 2023 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig.

Die Aufzeichnung wurde uns freundlicherweise vom Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig zur Verfügung gestellt.

Das Gespräch wurde in englischer Sprache geführt.

Mehr Informationen 

[Bitte beachten Sie, dass untenstehende Verlinkungen in orange auf Seiten Dritter leiten]

Zu den Teilnehmenden

  • Kateryna Busol (Völkerstrafrechtlerin an der National University of Kyiv – Mohyla Acadamy, Ukraine)
  • Roman Avramenko (Direktor von Truth Hounds Ukraine, eine NGO die Kriegsverbrechen dokumentiert)
  • Mariana Karkoutly (syrische Rechtsanwältin, Menschrechtsaktivistin und Mitglied von Huquqyat)
  • Dr. Somi Nikol (Bundesanwaltschaft)
  • Moderation Alexandra Kemmerer (Wissenschaftliche Referentin und Koordinatorin, Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht)


Mehr erfahren

Ein Glossar zu zentralen Begriffen im Kontext des Schutzes von Menschenrechten in englischer Sprache finden Sie auf der Seite des European Center for Constitutional and Human Rights.

Mehr Informationen zur Arbeit der Bundesanwaltschaft finden Sie auf der Webseite des Generalbundesanwalts.

Foto: Sandrino Donnhauser